„Ich habe noch einen Koffer in Berlin“, singt die gute alte Hildegard Knef in einem ihrer hervorrragenden Chansons und so ein Koffer ist meist vollgepackt mit Kleidung und anderen Dingen. Doch neben diesen realen Sachen, die manchmal lustig riechen, gibt es etwas, was in jedem Koffer auch vorhanden ist, was aber in der Regel der Zoll nicht finden kann. Es sind Geschichten. Lustige, traurige oder melancholische. Auf jeden Fall Geschichten. Ein solcher Koffer voller Geschichten in Buchform ist „Niemand hat die Absicht einen Tannenbaum zu errichten.“ Kommt der Satz bekannt vor. Ja richtig, er ist angelehnt an einen Satz, der Berlin viele Jahre teilte. Auch so eine Erinnerung. Gott sei Dank.

Das Weihnachtsfest ist in Berlin immer bunt
Das kann der Leser feststellen, wenn er sich der Lektüre der 34 Kurzgeschichten, Annekdoten und lustigen Erzählung unterzogen hat, wie einst eine Leibesvisitation an der Innerdeutschen Grenze. Berlin ist halt anderes. Da gibt es Geschichten von Sexunfällen bei weihnachtlicher Musik. Bestimmt etwas, dass auch gerade in der Weihnachtszeit dem einen oder anderen bekannt vor kommt. Unabhängig von seiner sexuellen Orientierung. Es gibt Geschichten, die den Alltag kurz vor der Feiertagen in einer Stadt schildern, die nicht umsonst eine Kulturmetropole ist. Ganz besonderes spannend findet ich die, vielleicht fiktive, Geschichte um die liebenswerten Berliner, die nur dann lieb und nett sein können, wenn alle Zugezogenen zu den Feiertagen bei ihren Lieben daheim verweilen. Zumeist im Süden der Republik. Gleichzeitig erfreut das vorweihnachtliche Herz Geschichten von alten Damen, die sich weigern das Mindesthaltbarkeitsdatum auch nur ansatzweise anzuerkennen und so, jedes Jahr aufs Neue, ihren lieben Kindern ein unverdauliches Weihnachtsfest schenken.
Berliner Weihnachten, da brennt der Baum
Auch der Baum ist natürlich Mittelpunkt einer Geschichte, und zwar geht es darum, wie er still und leise entfernt werden soll, obwohl er nadelt. Schön zu lesen, dass das nicht nur ein Problem in der Hauptstadt ist. Ich erfahren als Leser vom Brauchtum in einer Stadt, der als Schmelztiegel der Kulturen alles vereinnahmt und als Berliner Einerlei wieder ausspuckt.
Niemand hat die Absicht einen Tannenbaum zu errichten ist nicht nur eine gute Lektüre für die Vor – und Nachweihnachtszeit sondern lädt auch dazu ein, sich literarisch auf die Hurrikan Saison der Weihnachtsmänner, Christkinder und leuchtenden Kinderaugen mit viel Humor vorzubereiten.
Das Buch hat dankenswerter Weise noch eine informative Übersicht über die Berliner Lesebühnen, wo zahlreiche der 34 Autoren des Buches auftreten. Ferner noch kurze biografische Daten der Literaten.
„Niemand hat die Absicht einen Tannenbaum zu errichten“
Weihnachtsgeschichten aus Berlin
Michael-André Werner & Volker Surmann (HRSG.)
Satyr-Verlag
ISBN 978-3-944035-17-8
12,90 EURO
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